Siller, Bernhard

Geboren, verwachsen im Mezzo Giorno, Frau und acht Kinder und drei leben kaum, mit zweieinhalb Schwestern auf einem Raum – Tonio Schiavo ist abgehaun…

So sang Franz Josef Degenhardt. Die Begegnung mit seinen Liedern hat mich initiiert. Seitdem war ich nicht mehr allein mit meinem seltsamen Gefühl „im Innern des Landes da leben sie noch“ (Degenhardt). Seitdem konnte ich auch meinem Berufswunsch „Werbegrafiker“ zu werden nicht mehr ungebrochen nachgehen. Es kam mir zupass. Das erste Jahr in der „Eidgenössischen Kunstgewerbeschule“ in Biel verstärkte meinen Drang nach Veränderung. In der HfG Offenbach fand ich eine brodelnde Studentenrevolte vor. Wer etwas auf sich hielt, ließ sich einen Bart stehen und ballte gern die Faust – zumindest in der Hosentasche. „Nieder mit den Alpen – freier Blick aufs Mittelmeer!“ Auf die freie Kunst fiel mein Blick, sie sollte mich befreien. „Freie Bildrealisation“ war die verlockende Bezeichnung des Studiengangs. Kunst, so lernte ich, entsteht im Auge des Betrachters. Seitdem schiele ich mit einem Auge – auf das Auge des Betrachters. Als ich ein Lächeln erkannte (immerhin ein Lächeln!), war ich gefangen. Von der ersten Karikaturbuchstütze bis heute, konnte ich das Lächeln zu einem Lachen und sogar einmal zu einem Kniefall und Ausruf „so much human touch“ steigern. In aller Freiheit – und das nunmehr seit 20 Jahren!

Beim Karikieren provoziert mich das Problem der Einmaligkeit. Für jeden ist die Einmaligkeit eines Gesichts zu sehen aber wie schwer ist es, diese zu definieren (und dabei charmant zu bleiben)! „Die Macht der Zeichnung“ ist der Titel einer Zeichnung von F.K.Waechter, auf der ein Mensch zu sehen ist der mit einer Hand ein Pferd, zu allem Überfluss senkrecht, an die Wand stemmt. Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich sehe mit welcher Leichtigkeit dieser Kraftakt glaubhaft vorgeführt wird. Es ist ein Wunder.

„Eine Zeichnung ist Zauberei mit durchschaubaren Mitteln“ schrieb Horst Janssen.
Diese Definition regt mich an, denn ich möchte nicht schummeln. Aber zaubern. Man soll erkennen, was dargestellt ist, aber auch mit was man verführt wurde zu glauben, es wäre das Dargestellte. Meine freien Arbeiten kreisen im weitesten Sinn ebenfalls um dieses Phänomen – möchten nichts mehr darstellen – nur noch etwas sein, was etwas sein könnte und sind hier zu sehen. Literatur zaubert. Angeregt von der Schreibweise suche ich dies zeichnerisch zu interpretieren. Zu meiner Freude erlaubt mir die Vielfalt der Persönlichkeiten sehr unterschiedlich zu zaubern. (In einer normalen Biografie würde jetzt drinstehen, dass ich 11 Jahre lang den Lehrauftrag für Aktzeichen in Offenbach innehatte oder Lehraufträge in Wiesbaden und Dortmund, ganz abgesehen von dem Stipendium „Alsfelder Stadtzeichner“ und wo ich überall schon ausgestellt habe, aber das klänge doch zu sehr nach Angeberei und wen wollte ich damit beeindrucken?).