• Verfasser: Traudi Schlitt
  • Themen: Thema: Presse
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Ein Abend voller Jazzgeschichten

Der nächste AKT: Das Trevor Richards New Orleans Trio zu viert

Schon in den ersten Takten war klar: Hier spielte kein routiniertes Ensemble ein Konzertprogramm, sondern vier Musiker, die den Jazz atmen. „Clarinet Marmalade“ eröffnete den Abend mit The Trevor Richards New Orleans Trio im Rahmen der andauernden Alsfelder Kulturtage – und wie! Beschwingt, vibrierend, mit jener Leichtigkeit, die aus hundert Jahren Tradition schöpft. Man spürte sofort, dass dies ein Heimspiel war: Trevor Richards und Reimer von Essen, beide Ehrenbürger der Stadt New Orleans und ‚alte Alsfelder‘, waren hier nicht einfach Gäste, sondern Freunde unter Freunden.

Doch was macht den Zauber aus, wenn über zweihundert Jahre geballte Musikerfahrung auf einer Bühne zusammentreffen? Vielleicht war es die Mischung: das feinsinnige Klavierspiel von Eberhard „Ebi“ Hertin, der in „African Ripples“ ein funkelndes Solobild zeichnete – wie Wellen auf glitzerndem Wasser. Oder Matthias Seuffert, der mit Klarinette, Bassklarinette und Altsaxophon zwischen lyrischer Eleganz und rauchiger Kraft pendelte. Vor allem aber Reimer von Essen, das selbsternannte „Urgestein“. Man sah ihm an, dass das Alter seine Spuren hinterlässt: in der zweiten Hälfte gönnte er sich zwischendurch einen Stuhl, hielt sich am Flügel fest. Doch sobald er blies, vergaß man alles – dann stand da ein Musiker, der den Jazz nicht spielt, sondern verkörpert. Jeder Ton ein Zeitzeugnis, jede Phrase getragen von Spielfreude, Witz und Weisheit.

Trevor Richards, gewohnt verschmitzt unter seiner Schiebermütze, führte mit Anekdoten durch den Abend in der Aula der Stadtschule. Mal erzählte er über einen New-Orleans-Drummer, der mitten in einer Parade zusammenbrach – „gibt es einen schlimmeren Tod?“ – mal über die Geschichte der Stücke selbst. So bei „Egyptian Fantasy“, wo die Band die mutigere Version aus den 1940er Jahren wählte – exotisch koloriert, voller rhythmischer Spannung, und mit einem augenzwinkernden Unterton, der das Publikum fesselte.

Zu den Höhepunkten zählten die klassischen Perlen des Repertoires: „Nobody Knows“ wurde zur stillen Zwiesprache, getragen von einem innigen Klarinettenton, der die Aura einer New-Orleans-Prozession beschwor. In „In the Shade of the Old Apple Tree“ legte sich eine fast filmische Atmosphäre über den Saal: man sah förmlich die flackernden Schwarz-Weiß-Bilder vergangener Zeiten, Cary Grant oder Humphrey Bogart mit schmachtendem Blick auf Katharine Hepburn oder Ingrid Bergmann. Dann wieder pure Tanzlust: „Charleston“ riss das Publikum förmlich von den Sitzen – Köpfe nickten, Füße tippten, manch einer hätte am liebsten gleich auf dem Parkett losgelegt.

Auch „My Monday Date“, das leichtfüßig-swingende Juwel von Earl Hines, wurde liebevoll intoniert, mit verspielten Dialogen zwischen Piano und Klarinetten. Und beim „Royal Garden Blues“ zeigten die Herren, was kollektive Improvisation bedeutet: Stimmen, die sich verweben, überholen, necken und wiederfinden – ein kleiner Höhepunkt traditioneller Jazzpolyphonie.

Reimer und Matthias nutzten den seltenen Luxus zweier Klarinetten, um Ellingtons „Mood Indigo“ in einer geradezu samtigen Fassung zu präsentieren. Das war keine bloße Repertoire-Pflicht, sondern pure Hingabe – zart, melancholisch und mit einem Schimmer von Weltzeit.

Das Publikum – viele schon Jahrzehnte mit dem Jazz verbunden, das Durchschnittsalter bei 70 – hörte gebannt. Einer erzählte in der Pause, er habe Trevor Richards 1970 in Kopenhagen erlebt und sei trotz eigener gesundheitlicher Probleme noch einmal gekommen, um ihn zu sehen. Solche Begegnungen gaben dem Abend eine emotionale Tiefe, die über Musik hinausging.

Zum Finale zog die Band nach Chicago in die 1920er Jahre – mit einer energiegeladenen Nummer, die das Kopfsteinpflaster der Altstadt im übertragenen Sinne in Bewegung versetzte. Moderator Walter Windisch-Laube entließ das Publikum wie gewohnt charmant und mit süßen Pflastersteinen im Gepäck in die Nacht, und auch Technikchef Benjamin Zielke erhielt verdientes Lob für Licht und Klang, die den Abend so atmosphärisch getragen hatten.

Es war ein Abend, der mehr war als ein Konzert: ein lebendiges Stück Jazzgeschichte. Und wohl einer der letzten Momente, in denen man Trevor Richards und Reimer von Essen gemeinsam auf der Bühne erleben konnte. Gerade das machte den Nachhall so kostbar – eine Mischung aus Dankbarkeit, Wehmut und purer Freude am Jazz.

Text und Bilder: Anja Kierblewski