• Verfasser: Traudi Schlitt
  • Themen: Thema: Allgemein
  • 0

Schärfung demokratischen Bewusstseins durch besondere Themensetzung

Einen Schwerpunkt der diesjährigen Alsfelder Kulturtage bildete die Thematik ‚Jüdisches Leben‘ / Judentum / Assimilation / Ausgrenzung – nicht nur, aber speziell auch in Alsfeld und Umgebung. Dieses Projekt aus mehreren Einzelveranstaltungen wurde gefördert über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Familienministeriums.

Gleich am Beginn der Kulturtage 2025 bot Experte Joachim Legatis, Vorsitzender des Vereins „Gedenkstätte Speier Angenrod e.V.“, eine sehr informative Wanderung auf den Spuren jüdischer Geschichte und Schicksale an, die von ausgewählten Stationen in der Alsfelder Altstadt über den Jüdischen Friedhof am Stadtrand bis zur Gedenkstätte Haus Speier in Angenrod führte; dieses Dorf, heute Ortsteil von Alsfeld, spielte einst im jüdischen Leben des jetzigen Vogelsbergkreises und für das Landjudentum eine maßgebliche, zentrale Rolle. Durch zahlreiche Fragen und Nachfragen aus den Reihen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der geschichtlichen Exkursion ergab sich ein lebendiger und erkenntnisreichen Dialog zum Thema jüdische Geschichte und Kultur.

Dessen sinnliche, vor allem klangsinnliche Seite unmittelbar zu erleben, dazu war die Veranstaltung eine knappe Woche später in der Alsfelder Dreifaltigkeitskirche angetan: Beim Konzert „Gesänge Israels“ unter Leitung des aus Angenrod gebürtigen Würzburger Kirchenmusikers Rudolf Wilhelm Haidu brachte ein fünfköpfiges Gesangsensemble den Kirchenraum zum Schwingen; was dabei erklang, war durchweg solche Musik, wie sie im 19. Jahrhundert, also zur Zeit der Romantik, und noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in den Gottesdiensten der so genannten Reformsynagogen (u.a. auch in Gießen, Kassel, Frankfurt und Darmstadt) aus liturgischen Anlässen dargeboten wurde. Im Wechsel erklangen solistische Orgel- und mehrstimmige Gesangsstücke von heute weitgehend unbekannten jüdischen Komponisten; dabei brillierte Haidu an der Orgel, und ein professionelles Gesangsquartett aus Victoria Sommerer (Sopran), Barbara Buffy (Alt), Stefan Schneider (Tenor) und Elias Wolf (Bass) bestach durch glasklare Stimmgebung, beeindruckende rhythmische Präzision und homogenen Chorklang. Dafür bot das Kirchenschiff der einstigen Klosterkirche, In mittelalterlicher Zeit für (einstimmigen) Gesang konzipiert, den nahezu idealen Klangraum. Ebenso für die (teilweise auch unbegleiteten) solistischen Einlagen Isidoro Abramowiczs, der als Kantor an der Berliner Reformsynagoge Pestalozzistraße wirkt. Er gab einige Erläuterungen – und mit seinem Gesang in romantisch traditioneller Weise samt einigen Manierismen einen plastischen Eindruck von den Klangbildern des vorvergangenen Jahrhunderts einschließlich der spirituellen Dimension sowie Identifikations- und auch Verführungskraft religiöser Musik.

Das Publikum zeigte sich begeistert, auch aus dem Bewusstwerden heraus, dass die allermeisten der Stücke, wenn nicht sogar alle, erstmals in dieser Kirche erklungen sind.

Fortgesetzt wurde das Schwerpunktthema ‚Jüdisches Leben‘ mit einer Stolpersteinverlegung durch Gunter Demnig, den seit Jahren in Alsfeld-Elbenrod ansässigen Initiator dieses Kunst-Mahnmal-Projektes. In der Hersfelder Straße findet sich nun zum ersten Mal vor Ort ein Stolperstein für das Opfer einer „Euthanasie“-Tötungsanstalt. In den begleitenden Vorträgen erinnerte Katja Demnig besonders auch an die deportierten und ermordeten Sinti und Roma. Die Schulveranstaltung zum Thema, eingehend vorbereitet durch Lehrerin Annette Weik, weckte bei Schülerinnen und Schülern der Geschwister-Scholl-Schule so großes Interesse an der Thematik, dass viele von ihnen auch bei der Stolperstein-Verlegung dabei waren und mit Gunter Demnig ins Gespräch kamen.

So boten die sehr unterschiedlichen Veranstaltungen zur Thematik ‚Jüdisches Leben‘ innerhalb der Alsfelder Kulturtage insgesamt ein äußerst anschauliches und eindringliches Bild von der Präsenz wie dem Reichtum kultureller Gepflogenheiten im Neben- und Miteinander zur christlich geprägten Alsfelder Mehrheitsgesellschaft vor der NS-Zeit.

Text: Walter Windisch-Laube, Fotos: Tanja Gremmel