
„Tanz der Formen, Fluss der Träume“ verzaubert die Alsfelder
Vernissage in der Dreifaltigkeitskirche: Malerei, Skulptur und Klang verschmelzen zu einem Erlebnisraum
Wenn eine alte Kirche ihren Atem verändert, wenn der Chorraum, in dem sonst Jahrhunderte lang gebetet wurde, sich öffnet für Kunst, Klang und Menschen, dann entsteht etwas, das weit über den Moment hinaus trägt. Momente, in denen man spürt: Hier geschieht etwas Besonderes – in dem Fall dank den Künstlern Britta Jacobi, Alexander Litwinow, Stephan Pussel und Robert Walter.
Als sich am Samstag im Rahmen der Alsfelder Kulturtage die Türen der Alsfelder Dreifaltigkeitskirche öffneten, strömten die Menschen in einen Raum, der an diesem Nachmittag nicht mehr nur Kirche war. Er war Bühne, Resonanzkörper, Traumlandschaft. Schon beim ersten Schritt hinein spürte man, es liegt was in der Luft, ein neu entstandenes Energiefeld: Farben, Formen, Metall, Klang – alles griff ineinander, als sei die gotische Architektur selbst Teil der Inszenierung. Und die Menschen, zahlreich gekommen, wurden zu Mitspielenden: schauend, lauschend, träumend.
Der Chorraum füllte sich, auch das Kirchenschiff blieb nicht leer. Manche setzten sich auf die alten Holzbänke, andere lehnten an den Mauern, einige standen einfach still da und ließen den Blick schweifen. „Wo fängt man an – mit Schauen, mit Fühlen, mit Träumen?“ fragte Traudi Schlitt in ihrer Laudatio. Und tatsächlich: Man wusste es nicht.
Die Begegnung zweier Welten
Da waren die Bilder von Britta Jakobi – groß, leuchtend, in sich vibrierend. Sie schienen nicht still zu hängen, sondern zu atmen. Pusteblumen flogen über imaginäre Wiesen, Libellen schwirrten durchs Blau, Kinder tanzten auf Vulkanen. Und dann, fast majestätisch, der Wal: Brittas Krafttier, wie sie ihn nennt, schwebte über allem, als wollte er den ganzen Raum tragen.
Daneben die Skulpturen von Alexander Litwinow – aus Schrott geboren, rostig, schwer, und doch in einer Leichtigkeit, die man ihnen nicht zutraut. Figuren, die auf einem Bein balancieren, Engel, die sich zum Himmel wenden, Tiere, die wie aus einer anderen Zeit herübergekommen scheinen. Sie alle erzählten von Veränderung, vom Schweben zwischen Boden und Himmel, vom Mut, den einen Fuß zu heben, ohne zu wissen, wo man landen wird.
Unterschiedlicher könnten die beiden künstlerischen Sprachen kaum sein – und doch: Im Zusammenspiel wirkten sie wie ein Dialog, der schon lange geführt wird. Brittas Traumwelten schienen Alexander Linien weiterzuziehen, seine Skulpturen warfen Schatten, die sich mit ihren Farben verbanden.
Was beide verbindet, ist die Auseinandersetzung mit den Elementen: Wasser, Erde, Luft, Feuer. Bei Litwinow der Aralsee, der in seiner Kindheit noch voller Leben war, heute zur Wüste schrumpft. Bei Jakobi die Traumwelt, die sich frei von Realität entfaltet, aber stets mit Naturmotiven durchzogen ist. Wo seine Figuren aus rostigen Linien geboren werden, öffnen ihre Bilder farbige Räume voller Bewegung.
Ein Raum in Schwingung
Und dann die Klänge. Stephan Pussel und Robert Walter ließen Klangschalen, Gongs und leise Rasseln den Raum füllen, als würde er selbst atmen. Manche Besucher schlossen die Augen, ließen sich von den Rhythmen tragen. Andere sahen genauer hin, wie sich Metall und Farbe, Klang und Licht begegneten. Alles schien sich zu verweben.
„Ein nahezu synästhetisches Erlebnis“, hatte Walter Windisch-Laube zur Begrüßung gesagt. Er hatte recht. Die Ausstellung war mehr als das, was man sieht. Sie war ein Gefühl, das man mitnahm.
Kirche im Wandel
Vielleicht lag die Magie auch am Ort. Die Dreifaltigkeitskirche, Teil des sich entwickelnden „Klosterquartiers“, zeigte an diesem Abend, wie sehr sie Kultur atmen kann. Wo früher Psalmen erklangen, hingen nun Träume an den Wänden, standen Wesen aus Metall auf dem Steinboden. Und doch schwang ein leiser Hauch von Spiritualität mit – als wäre dieser Ort, befreit vom liturgischen Alltag, noch offener geworden für das, was Menschen bewegt.
Man sah es in den Gesichtern der Besucher: Staunen, manchmal ein Lächeln, manchmal Nachdenklichkeit. „So etwas braucht Alsfeld“, hörte man leise sagen. Und jemand anderes flüsterte: „Ich bin so berührt, das geht so tief.“
Ein Traumfänger als Schlussakkord
Am Ende der Ausstellung wartet ein Traumfänger, groß und schimmernd. Er ist kein bloßes Kunstwerk, sondern eine Einladung: Wer möchte, darf kleine Skizzen eigener Träume hinterlassen. Manche zogen gleich einen Zettel hervor, andere blieben einfach davor stehen – still, als ob sie in sich hineinhorchen wollten. Ein zarter Akt der Teilhabe, der das Unsichtbare sichtbar machen wollte
So wurde aus der Vernissage ein Moment des Teilens. Kunst, die nicht abgeschlossen ist, sondern weiterlebt im Inneren derer, die sie gesehen haben.
Ein Nachklang
„Tanz der Formen, Fluss der Träume“ – dieser Titel klingt nach. Er beschreibt nicht nur die Werke von Jakobi und Litwinow, sondern auch das, was an diesem Tag geschah: ein Tanz aus Farben, Formen, Klang und Raum. Ein Fluss von Eindrücken, der die Besucher mitriss, mal sanft, mal kraftvoll, immer voller Überraschung.
Bis zum 21. September bleibt die Möglichkeit, sich diesem Fluss hinzugeben. Wer den Weg in die Dreifaltigkeitskirche findet, wird mehr mitnehmen als Bilder im Kopf. Vielleicht einen Hauch Leichtigkeit. Vielleicht einen Gedanken, der trägt. Vielleicht auch nur das Gefühl, geträumt zu haben – mitten im Alltag.
Die Vernissage ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr. Eintritt ist kostenfrei, aber garantiert nicht umsonst.
Text und Bilder: Anja Kierblewski